27 Jun
27Jun

Teil 1 - Gleichgueltigkeit

Gleichgueltigkeit, ein Thema, dem ich immer wieder begegne: im beruflichen wie auch im privaten Kontext. Gleichgueltig sein, ein Wesensmerkmal von uns Menschen, welches mich immer wieder aufs Neue fasziniert. Ich habe deshalb vorgeschlagen, es diesen Monat als Thema aufzugreifen und naeher zu beleuchten.

Urspruenglich bedeutete das Adjektiv „gleichgueltig“: zwei Dinge sind im direkten Vergleich gleich viel wert. Die Entwicklung der Bedeutung ging ueber zu „unterschiedslos", „unbedeutend“ und dann „uninteressiert“. Heute steht Gleichgueltigkeit in Verbindung mit Desinteresse und Teilnahmslosigkeit. 

Fuer mich stellen sich, im Moment, zwei Fragen:

1.) Weshalb reagieren wir gleichgueltig?
2.) Weshalb reagieren wir gereizt, wenn man uns mit Gleichgueltigkeit begegnet?

Lass mich hierzu ein Beispiel aus meiner persoenlichen Erfahrung aufgreifen; vielleicht kennst du das ja auch: Du gehst in ein Restaurant und wirst von einem Mitarbeiter mit einem emotionslosen "Guten Tag!" begruesst. Nicht mehr und nicht weniger; kein freundliches Laecheln. Wortlos wird dir und deiner Begleitung die Speisekarte gereicht - ebenso wortkarg wird die Bestellung entgegengenommen. Spaetestens jetzt ist der Moment gekommen, der ein Unwohlsein in dir ausloest. Du nimmst die Gleichgueltigkeit des Kellners persoenlich. Es aergert dich, dass der Kellner dir – so meinst du – unfreundlich entgegen tritt. Als ich einmal einen Kellner auf seine Teilnahmslosigkeit ansprach, erhielt ich eine eher erstaunte Antwort:  "Ich war ueberhaupt nicht unfreundlich." – "Ich verstehe ueberhaupt nicht was Sie meinen?" Unverstaendnis auf Seiten des Mitarbeiters. 

Gerne und viel zu schnell werfen wir anderen Menschen Gleichgueltigkeit vor und nehmen das persoenlich. Mir wurde ploetzlich klar, dass er gar nicht unfreundlich zu mir war, sondern sein Verhalten nur emotionslos, teilnahmslos und desinteressiert auf mich wirkte. Vielleicht reagierte er aus Erschoepfung so oder auch aus anderen persoenlichen Gruenden. Vielleicht reagierte er so, um sich damit selbst zu schuetzen. Gleichgueltigkeit kann also auch eine Art Selbstschutz sein. Es ist wichtig, die Position des Gegenuebers einzunehmen und zu verstehen, dass das Verhalten des Anderen selten wirklich gegen einen selbst gerichtet ist. Vielmehr gibt es aus der Perspektive des Anderen bestimmt einen guten Grund dafuer, der gar nichts mit mir als Person zu tun hat. 

Statt mich ueber den Kellner zu aergern, haette ich in diesem Moment auch die Moeglichkeit, mich selbst zu hinterfragen: Warum beruehrt mich das Desinteresse und die Teilnahmslosigkeit meines Mitmenschen so? Hat es vielleicht damit zu tun, dass mein persoenlicher Wert nicht erkannt wurde? Brauche ich diesen Zuspruch und die Bestaetigung vom Aussen? 

Freut euch auf den Beitrag von Monica ueber die Wirkung des Pokerfaces. 

Habt einen sonnigen Tag, Karolina 


Teil 2 - Das Pokerface

Der Begriff «Pokerface» kommt ja bekanntlich vom Pokerspiel und bedeutet soviel wie: Verzicht auf jegliche Mimik und eine zur Schau gestellte Emotionslosigkeit, die jegliche Rueckschluesse auf das Kartenspiel ausschliessen. 

Erst beim Schreiben dieses Blogs merkte ich, dass ich dem Pokerface eine eher schlechte und manipulierende Absicht unterstellte; naemlich die, das Gegenueber an der Nase herumzufuehren. Also versuchte ich, mich in einen echten Pokerspieler hineinzuversetzen. Da wurde mir bewusst, dass es wohl nicht bloss ums Bluffen geht, damit ein gutes Spiel verborgen werden kann, sondern mindestens so oft um Schutz, um die eigene Enttaeuschung oder vielleicht gar Verzweiflung ueber die schlechten Karten zu verbergen.

Wofuer steht das Pokerface nun? Fuer Schutz oder fuer Manipulation? Oder vielleicht fuer beides? Beim Pokerspiel ist die Antwort ziemlich sicher Ja - fuer beides. Und wie sieht es denn im alltaeglichen Leben aus? Denn das Pokerface wird ja nicht nur im Spielcasino aufgesetzt, sondern ziemlich oft auch im ganz gewoehnlichen Alltag.

Wie setzen wir es im Alltag ein? Um mir darueber etwas mehr Klarheit zu verschaffen, habe ich mir ueberlegt, ob ich selbst denn auch ab und zu ein Pokerface trage. Die ehrliche Antwort ist ja und es hat sogar einen Namen: Das «Crossair-Laecheln». Und so kam es zu diesem Namen:  

Gleich nach meinem Studium habe ich mir einen Kindheitstraum erfuellt und war fuer kurze Zeit Flugbegleiterin bei Crossair. Ihr kennt das sicherlich alle, die Flugbegleiter:innen stehen am Eingang des Fliegers und Laecheln…. Ich konnte das sehr gut – auf Befehl Laecheln – ich hatte frueh gelernt nicht immer all meine Gefuehle zu zeigen und sie hinter einem Laecheln zu verbergen – das kam mir als Flugbegleiterin zugute. Es ging nicht darum, den Flugpassagieren mein Befinden mitzuteilen, sondern ihnen einen angenehmen Flug zu ermoeglichen, ihnen das Gefuehl zu geben, dass man  auf sie gewartet habe und ihnen gerne das Essen und Trinken serviere. Das ist somit der eher manipulative Teil meines Laechelns, denn es ging mir darum, etwas damit zu erreichen.
Eines Tages als ich mit Freunden unterwegs war, laechelte ich, obwohl es mir nicht besonders gut ging und da meinte ein guter Freund: «bei uns brauchst du dein "Crossair-Laecheln" nicht, sei du und zeig deine Gefuehle!» - ich erschrak und war sehr dankbar, denn es liess mich aufhorchen. Diesmal hatte ich mein Laecheln zum Schutz genutzt, um meine Gefuehle zu verbergen, obwohl es gar nicht noetig war....

Was mich bis heute an der Geschichte beruehrt hat, ist , dass mein Freund mein Pokerface durchschaut hatte. Es stellt sich damit die Frage: Wie ist ihm das gelungen? Koennen wir wirklich all unsere Gefuehlsregungen unterdruecken oder verraten uns Mikrobewegungen, Mimik und Gesten? Darueber in einem der naechsten Blogs mehr. 

Ich glaube, ein Pokerface darf beides sein - SCHUTZ und MANIPULATION - es ist jedoch sehr wichtig, es immer bewusst ein- oder vielmehr aufzusetzen und die Klarheit zu haben, dass die Absicht dahinter eine gute und wohlwollende ist - fuer sich selbst und andere.  

Wann traegst du ein Pokerface? Wir freuen uns von deinen Erfahrungen zu lesen. 

Alles Liebe, Monica 


Teil 3 - Warum verstecken wir uns hinter einem Pokerface?

Haette ich gewusst, wie sehr mich das Thema Gleichgueltigkeit und Pokerface in die Tiefe reisst – ich haette vielleicht nicht darueber geschrieben.
Es waren drei Wochen mit vielen Traenen und Auseinandersetzungen, intensiven Gespraechen, die auch Monica und mich zeitweise an unsere Grenzen gebracht haben.
Warum? Weil das Thema Gleichgueltigkeit – nicht nur fuer uns, sondern auch fuer unsere Teilnehmer:innen und Leser:innen herausfordernd ist – und ganz ehrlich: Wer liest schon gerne etwas ueber so ein „schweres“ Thema, wo es doch soviel angenehmeres gibt ueber das wir schreiben, reden, lesen und uns austauschen koennten.
Gluecksmomente oder Gleichgueltigkeit – da faellt die Wahl doch nicht schwer, oder?
Wir erleben schon oft genug Desinteresse und Teilnahmslosigkeit in unserem Leben, dann muessen wir uns doch nicht noch in den wenigen freien Augenblicken damit beschaeftigen.
Kurz: Der Alltag ist doch schon anstrengend genug.

Aber eigentlich sollten wir gerade auch schoene Momente nutzen, um ueber herausfordernde Themen zu sprechen. In Momenten, in denen wir uns wohl fuehlen, in einem Rahmen, der es ermoeglicht einzusteigen, um sich bewusst mit dem Leben auseinanderzusetzen. Und ploetzlich kann so ein „Einlassen“ sogar sehr bereichernd und erfuellend sein. 

Schauen wir nochmal auf das Monatsthema: Waehrend den letzten drei Wochen habe ich Mitmenschen und auch Teilnehmer:innen immer wieder gefragt, warum sie ein Pokerface tragen oder sich gleichgueltig verhalten. Beim Pokerface waren die Antworten sehr aehnlich: Die meisten antworteten ganz klar, sie wollten ihre Gefuehle verbergen und sich ihrem Umfeld nicht zeigen. Sie wollten nicht mitteilen, wie es ihnen geht. Manchmal weil ihnen der Rahmen nicht stimmig erschien, aber meistens, weil sie sich nicht anvertrauen wollten.
Haette man mich gefragt, ich haette wohl aehnlich geantwortet aber ergaenzt, dass es nicht nur darum geht, die Gefuehle vor anderen zu verbergen, sondern sie auch selbst nicht zu fuehlen. In dem Moment, in dem ich Mitmenschen meine verletzte, meine traurige Seite offenbare, wird sie auch fuer mich selbst wieder spuerbar. Und durch die Auseinandersetzung mit einem Gespraechspartner werden die Gefuehle meist sogar noch intensiver. Das Pokerface hilft mir also dabei, emotional „betaeubt“ zu bleiben und all das nicht zu fuehlen. 

Und wie ist es mit der Gleichgueltigkeit? Der Mantel der Gleichgueltigkeit ist unschlagbar, das kannst du mir glauben. Denn ich war, und bin es manchmal noch, Meisterin der Gleichgueltigkeit.

Die meisten Menschen, die mich kennen, werden bestaetigen, dass ich ein absoluter Workaholic war. Bei mir gab es eigentlich nur zwei Lebensinhalte: meine Tochter und meine Arbeit. Sie hielten mich fern von meiner inneren Leere, von meiner Traurigkeit, von meinen Gefuehlen… leider auch von den angenehmen... Es gab durchaus Einladungen, die ich gern angenommen haette. Waehrend ich arbeitete, waren andere am See und im Urlaub oder gingen mit Freunden aus. In dieser Zeit war mir der Mantel der Gleichgueltigkeit ein treuer Begleiter. Dank ihm konnte ich das Verlangen unterdruecken, irgendwo dabei sein zu wollen und dafuer aus meinem Trott auszubrechen. Zu gross war die Gefahr dann eventuell auch mit Gefuehlen in Verbindung zu kommen, denen ich jahrelang so geschickt aus dem Weg gegangen bin. Gleichgueltigkeit und Teilnahmslosigkeit waren fuer mich die perfekten Schutzstrategien, um mich nicht auf unangenehme Gefuehle oder schwierige Situationen einlassen zu muessen. 

Es haette so viel leichter sein koennen, wenn ich mir zugestanden haette, dass es leicht sein darf.
Was ich dafuer gebraucht haette? Zeit fuer mich selbst, Zeit, um mich gerade mit den unangenehmen Gefuehlen, die sich hinter dem Pokerface verstecken oder vom Mantel der Gleichgueltigkeit beschuetzt werden, auseinanderzusetzen.
Deshalb: Nimm dir Zeit fuer dich, auch fuer deine schwierigen Gefuehle, die bringen naemlich meistens auch die anderen leichten und beschwingten Gefuehle mit. In diesem Sinne: Ein Hoch auf die Trauer und die Freude, weil das eine nicht ohne das andere kann!

Alles Liebe. Karolina


Teil 4  - Faszination Pokerface… und warum es immer zwei braucht, um es zu erkennen. 

Die Frage, ob es moeglich ist, Gefuehle komplett zu verstecken, hat mich sehr interessiert.
Es braucht nicht viele Recherchen, um zu erfahren: Nein, eigentlich geht das nicht. Es handelt sich dabei um Mikro-Ausdruecke, die durch die wahren Gefuehle, die man gerade erlebt, ausgeloest werden. Sie manipulieren zu wollen, ist vielleicht ein Versuch wert, wenn auch mit wenig Erfolgschancen, sie jedoch gaenzlich zu verstecken, sei gemaess Paul Ekman (Mitgruender von FACS «Facial Action Coding System) nicht moeglich. 

Diese Tatsache bedeutet somit, dass wir uns die Muehe des Verstellens sparen koennten, denn offensichtlich laufen wir alle wie offene Buecher durch die Gegend. Nun, ganz so offen sind unsere Gesichter und Mimiken wohl doch nicht. Es braucht auf jeden Fall Anteilnahme und Wahrnehmungsbereitschaft unseres Gespraechspartners, damit er eben diese Mikro-Ausdruecke ueberhaupt sieht. 

Und genau das ist es, was mich am Pokerface und der gezeigten Gleichgueltigkeit fasziniert. Es handelt sich eigentlich um eine non-verbale Kommunikation. Da es um Gefuehle geht, die wir oft selbst nicht fuehlen wollen, bietet das Pokerface tatsaechlich die Moeglichkeit, die schwierigen Gefuehle einfach mal in den Raum zu stellen, ohne sich wirklich bekennen zu muessen. Es handelt sich um eine Art Einladung, die wir nach Aussen schicken. Mein Gegenueber bekommt – durch das «nicht uebereinstimmen» von z.B. Worten und Mimik, oder laechelndem Mund und traurigen Augen – eine Nachricht und damit die Aufforderung, sich fuer eine von zwei Moeglichkeiten zu entscheiden:   

  • Konfrontieren/nachfragen
    Er/sie kann mir mitteilen, dass er merkt, dass mich etwas bedrueckt, obwohl ich es nicht direkt sage oder sogar das Gegenteil behaupte und nachfragen, ob ich etwas dazu sagen moechte

  • Ignorieren/nicht darauf eingehen
    Er/sie spuert, dass mich etwas bedrueckt. Vielleicht kann oder moechte er/sie nicht darauf eingehen.
    - «Nicht koennen» wuerde fuer mich bedeuten, es nicht zu tun aus Angst vor eigenen Gefuehlen, oder aus Angst davor, mit dem Nachfragen zu verletzen.
    - «Moechte nicht» waere fuer mich, wenn jemand gerade unter Zeitdruck steht oder das Thema «satt» hat (weil fruehere Gespraeche nichts brachten), oder vielleicht auch einfach die Person mit dem Pokerface ernst nimmt (es ist eine Form zu respektieren, was gezeigt wird)….

Aus meiner Sicht gibt es keine Standardloesung. Es kommt auf die Situation und die beteiligten Menschen an. Das eine wie das andere erfordert viel Fingerspitzengefuehl und Vertrauen. Konfrontieren – wohlgemerkt, ich rede hier vom achtsamen Konfrontieren/Nachfragen – kann ebenso angebracht sein wie das Ignorieren und nicht darauf eingehen. 

Diese Ueberlegungen helfen mir - einmal mehr, zu erkennen - wie stark unser Verhalten (und damit meine ich auch das Zeigen von Gefuehlen und Emotionen) das Verhalten unseres Umfeldes beeinflusst und umgekehrt. Vielleicht erkennen wir unsere eigenen Pokerfaces auch erst durch die Reaktionen und das Verhalten unserer Mitmenschen.

Viel Freude beim Reflektieren!

Alles Liebe, Monica